Frontier

Auf der Suche nach einem „Absacker“ nach dem leider erwartbar enttäuschenden „News Of The World“ durchstöberten wir letztes Wochenende Netflix. Da ein gesamter, weiterer Film nicht mehr zu schaffen war, schlug ich die erste Folge einer der vielen, vielen Serien vor, für die der Streaming-Riese berühmt geworden ist. Vorschläge hat Netflix anhand des Sehverhaltens ja gleich genug parat… Das einzige Auswahlkriterium war dabei relativ simpel: ein Western-Bezug wäre natürlich schön. Da wird die Auswahl dann vielleicht schon etwas dünner, aber mittlerweile gibt’s auf dem Portal auch diesbezüglich genug Streaming-Material. Und letztendlich fiel die Wahl auch überhaupt nicht schwer: Von einer der kleinen Kacheln sah uns grimmig Jason Momoa entgegen, sein Gesicht umgeben von Schneeflocken. Cool, was „Verschneites“ gucken, während vor dem Fenster immer noch das weiße Zeug rumliegt? Das hatte ja vorletzte Woche mit „Nevada Pass“ schon sehr gut geklappt.

Der Name der Serie? „Frontier“. Sie spielt im Kanada der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vielleicht nicht unbedingt die klassischen Zeit-/Ortangaben für einen Western, für mich aber eindeutig noch dazugehörig und – viel mehr noch – bereits ein Vorgeschmack auf den dieses Wochenende anstehenden „Chingachgook, die große Schlange“. Ein absoluter Volltreffer also! Nun ja, zumindest ließ all das ja durchaus einen versöhnlichen Abendausklang vermuten (zumal ja zu erwarten war, dass man sein Hirn nicht unendlich werde anstrengen müssen), tatsächlich aber kamen wir von Paul Greengrass‘ Regen in die von Showrunner Brad Peyton katastrophal zusammengezimmerte Traufe. „Frontier“ ist nichts anderes als ein serientechnisches Desaster und darüber hinaus vor allem eine unerhörte Frechheit! Ja, ich muss es jetzt mal so deutlich sagen: So eine Sch**** hatte ich vorher schon lange nicht mehr gesehen.

An dieser Stelle will ich dann auch gleich zugeben, dass ich im Folgenden ausschließlich über die erste Folge, „Die neue Welt“ („A Kingdom Unto Itself“), sprechen kann und werde, denn weiter halte ich diese Grütze nicht aus. Ich hätte das zwar tatsächlich nicht für möglich gehalten, aber von diesem Schund sind selbst sechs Folgen à gerade mal 45 Minuten zu viel für mich; da habe ich noch genug Stoff auf DVD, den ich liebend gerne vorziehen werde. Aber so übersichtlich wie durchschaubar das Konzept dieses Totalausfalls ist, so schnell geht einem das auch auf. Soll heißen, dass ich nach einer Viertelstunde „Frontier“ wusste, dass ich am liebsten sofort ausmachen wollen würde, ja eigentlich müsste, mich aber wenigstens durch diese eine Folge quälen wollte und somit eine halbe Stunde irgendwie hinter mich gebracht habe, die sich anfühlte wie über die Hälfte von Michael Ciminos „Heaven’s Gate“

Denn hier stimmt einfach nichts. Die Schauspieler sind desolat, die „Geschichte“ so platt und banal wie nur irgendwas und die Kostüme… Die Kostüme sind das Allerschlimmste! Klar, die passen in die Zeit, aber das ist auch schon alles. Klar, die sehen schick aus, aber genau das ist der Punkt: Die sehen viel zu schick aus! Man sieht ihnen jederzeit an, dass sie nigelnagelneu und offensichtlich vorher noch nie getragen worden sind. Teilweise meint man gar zu sehen, dass (natürlich und zu Recht) Kunstfell verwendet wurde. Und bei den paar Outfits, die dann tatsächlich doch einer künstlichen Verschmutzung unterzogen wurden, ist das so was von stümperhaft geschehen, dass man dieses Vorgehen sofort als solches entlarvt. Gleiches gilt für entsprechende Blutflecken in der Kleidung. Da einem so was sonst überhaupt nicht auffällt (mir hier beispielsweise das allererste Mal, dafür aber auch überdeutlich), wird einem in diesen Momenten klar, wie gut diese Arbeiten normalerweise erledigt werden – und wie stümperhaft eben hier.

Überdies zeichnen natürlich auch dieses Werk zwei Eigenarten aus, die ich – trotz der wenigen Beispiele, die ich mir bisher zugeführt habe – bereits jetzt als typisch für Netflix-Eigenproduktionen ausgemacht habe. Erstens sind diese gefühlt immer auf sehr engem Raum gedreht worden und zweitens haben sie keine Zeit. Der Konsument von heute und gerade der, der bei Nichtgefallen einer Reihe einfach abbricht und die nächste ausprobiert, muss sofort von einer solchen gefesselt werden und daher sofort mit „coolen, ikonografischen Szenen“ überhäuft werden. So zumindest meine Theorie. So darf Khal Drogo, äh Declan Harp (Jason Momoa), hier direkt in den ersten Sekunden einem Typen die Kehle durchschneiden (was übrigens so aussieht, als wären wir effekttechnisch noch in den 1970ern, aber gut). Und so geht es Schlag auf Schlag und die Informationen fliegen einem nur so um die Ohren. Dazu noch ein paar Tote mehr (waren damals doch an der Tagesordnung, oder?) und fertig ist die Laube. Dass man da dann entweder (wie intendiert) unserem ultraschnellen, völlig aus dem Ruder gelaufenen Zeitempfinden entsprechend diese Show abfeiert oder aber bei so viel Oberflächlichkeit genauso schnell auch wieder die Lust verliert (bzw. sie in diesem Fall gar nicht erst aufkommen kann), wird von Netflix dabei offenbar bewusst in Kauf genommen. Beides dürfte allerdings auch ein Ausdruck des bei so vielen gleichzeitig produzierten „Elite-Serien“ irgendwann immer kleiner werdenden Budgets sein.

Dazu kommt, dass die wirklich erschreckend schwach agierenden Darsteller (von denen ich absichtlich niemanden hervorheben will) die „komische, augenzwinkernde Note“, die das Ganze offensichtlich haben soll, nur allzu bereit aufnehmen und sich damit – mal mehr, mal weniger overactend – endgültig der Lächerlichkeit preisgeben. Das alles (sprich auch die zwei vorhergehenden Absätze mit einbezogen) im Zusammenspiel führt dazu, dass die ganze Produktion eher wie eine dieser neumodernen Porno-Parodien à la „This Ain’t…“ aussieht (da passt es sehr gut ins Bild, dass die Akteure selbstredend, wie heute eben üblich (weil man mittlerweile ja offensichtlich etwas gegen Perücken hat), in aller Regel mit modernen Frisuren (und Bärten) ausgestattet sind). Die sind auch immer recht vernünftig ausgestattet, können ihren gespielten Charakter auf engstem Raum allerdings nie verbergen (wollen dies im Gegensatz zu einem „richtigen“ Film ja aber auch gar nicht, weil es im Gegenteil eher noch ins Konzept passt). Und ich mein, wie offensichtlich (und erneut oberpeinlich) hier so oft es geht die „Sex Sells“-Karte gespielt wird (da werden auch die kleinsten Oberweiten bis zum Äußersten zusammengedrückt, um wenigstens ein wenig Dekolleté zeigen zu können), führte natürlich ebenso wenig dazu, dass meine diesbezüglichen Gedanken sich verzogen. (Der Höhepunkt des Fremdschämens diesbezüglich: die Szene in des Lords (Alun Armstrong) Kajüte, in der die zwei Huren sich ständig ablecken müssen, um die beiden jungen Männer aufzugeilen, die seine Gäste sind – grottenschlecht (und ich habe grundsätzlich überhaupt nichts dagegen, wenn…, na ja, ihr wisst schon)!)

Mein Fazit lautet daher auch: Wären alle Serien von der Qualität einer „Frontier“, dürfte sich die Porno-Industrie mittlerweile aber gewaltig auf die Schulter klopfen, weil praktisch keine Unterschiede in Ausstattung, Handwerklichkeit und Darstellerleistungen bestünden. Gott sei Dank ist sie aber selbst im Netflix-Kanon nach allem, was ich bisher gesehen habe, eine traurige Ausnahme. Trotzdem belehrte sie mich, der ich bislang dachte viel schlechter als der ziemlich dürftige, leider deutsche „Barbaren“-Quatsch würde es nicht werden, eines schmerzhaft Besseren. Aber sehen wir das Positive: Da es sich ja „nur“ um eine Streaming-Serie handelt, mache selbst ich an dieser Stelle eine Ausnahme und sage „Hier ist schon nach einer Folge Schluss für mich! Im Leben gibt es wesentlich interessantere Dinge zu sehen als diesen unfassbaren Schwachsinn!“. (Natürlich mit der ganz kleinen Option irgendwann, wenn alles andere geguckt ist und ich dann vielleicht doch selbst im Besitz eines Streaming-Abos sein sollte, dem Ganzen doch noch mal eine Chance zu geben. Klingt nach einem geringen Risiko für mich. ;) )

(★★)