Wyatt Earp
★★★★
- Jahr: 1994
- Regie: Lawrence Kasdan
- Darsteller: Kevin Costner, Dennis Quaid, Michael Madsen, Linden Ashby, Joanna Going, Jeff Fahey, Tom Sizemore, Bill Pullman, David Andrews, Mare Winningham, Catherine O’Hara, Mark Harmon, Gene Hackman, Isabella Rossellini…
Story
Nachdem Wyatt Earp (Kevin Costner) über Umwege zum Job des Marshals von erst Dodge City und später Tombstone kommt, macht er sich in diesem Amt nicht nur Freunde. Und so kommt es zur Schießerei am O. K. Corral, die er gemeinsam mit seinen Brüdern Virgil (Michael Madsen) und Morgan Earp (Linden Ashby) sowie seinem Freund Doc Holliday (Dennis Quaid) gegen Ike Clanton (Jeff Fahey) und dessen Jungs bestreitet. Die Earps gehen aus dieser als Sieger hervor, in der Folge jedoch werden Virgil an- und Morgan erschossen. Daraufhin schwört Wyatt Rache und macht sich mit einer Handvoll Gefährten auf einen blutigen Rachefeldzug…
Worte zum Film
starke Darsteller, schöne Musik, tolle Settings, gute Kameraarbeit und gute Regie; nicht immer historisch korrekt, aber nah genug an der Realität; trotz Überlänge nie langweilig
Bewertung
In einer Zeit, in der Biopics gefühlt so angesagt sind wie noch nie (wir schreiben heute den 02.07.2023), und aktuell vor allem jede/r Musiker/in bzw. Band ihr eigenes bekommen müssen (geht mir mittlerweile ziemlich auf den Geist, muss ich sagen, aber mich fragt ja keiner), hat Netflix unter ein, zwei anderen welche Lizenz-Western im Programm? „Geronimo – Eine Legende“ und „Wyatt Earp – Das Leben einer Legende“. Na, Muster erkannt? Aber ganz ehrlich: Ich will mich darüber überhaupt nicht beschweren, denn mir kam das gestern wirklich gerade recht (und sowieso sollen sie gerne noch viel mehr Western ins Programm nehmen, is ja klar). Denn irgendwie hatte ich da einfach richtig Bock auf Lawrence Kasdans „Wyatt Earp“ (trotz einer Länge von knapp über drei Stunden) und da ich den bisher nur auf DVD habe, habe ich gerne die Möglichkeit genutzt, ihn gleich „richtig“ in HD zu gucken.
Und das lohnt sich, Leute, denn Kasdans bisher (und da wird sich ja wohl auch nichts mehr dran ändern, befürchte ich) zweiter und letzter Genrebeitrag hat erneut tolle Bilder zu bieten, wie er handwerklich auch generell exzellent geraten ist. Neben Kameramann Owen Roizman tun sich hier vor allem Komponist James Newton Howard (dessen Musik man genau so erwartet, die aber auch einfach klassisch gut ist) und Kasdan selbst hervor. Er hat seine Schauspieler im Griff und liefert die gleichen halb schwelgerischen, halb unheilschwangeren Szenerien ab, die wir schon aus „Silverado“ kannten. Einfach nicht ganz so düster wie die Konkurrenz es seinerzeit schon war, was mir ausgesprochen gut gefällt. Allein das außergewöhnlich gute Intro in Tombstone bzw. anschließend im Maisfeld ist eine Erwähnung wert. Ebenso wie seine Version der Schießerei am O. K. Corral, die einfach total realistisch wirkt (leider habe ich immer noch nicht „Tombstone“ aus dem Jahr zuvor gesehen, um das Ganze mal direkt miteinander zu vergleichen).
Auch inhaltlich liefert „Wyatt Earp“ ab (den blöden deutschen Untertitel, den sich selbst die Amis gespart haben, lassen wir ab jetzt einfach mal weg). Die Drehbuchautoren Dan Gordon und – erneut – Lawrence Kasdan schaffen es, das Leben von Wyatt Earp (Kevin Costner), in dem sich die Stationen gefühlt ständig wiederholten, tatsächlich so herunterzubrechen, dass man nicht das Gefühl von ständiger Redundanz hat. Stattdessen läuft alles schon recht „früh“ auf Earps Marshal-Tätigkeiten sowie eben seine berühmteste Schießerei hinaus. Das ist tatsächlich ziemlich straight, macht zu jeder Zeit Spaß und ließ zumindest bei mir keinerlei Langeweile aufkommen.
Trotzdem gebe ich zu, dass ich das Wort „früh“ nicht umsonst in Anführungszeichen gesetzt habe und in diesem Fall tatsächlich sogar verstehen kann, wenn es Stimmen gibt, die Kasdans Werk eine Überlänge attestieren. Kann man nämlich so sehen. Es hätte tatsächlich so einige Szenen gegeben, die man auch hätte weglassen können. (Spoiler) So etwa seinen Pferdediebstahl, den es in echt offensichtlich nie gegeben hat, den Abschnitt als Büffeljäger, auch wenn er hier Bat Masterson (Tom Sizemore) kennenlernt, sowie das ganze Theater um seine zweite Ehefrau hier, die es in der Realität wohl auch nicht gab. (Spoilerende) Ihr seht jedoch: Diese Sachen (und das sind im Zweifel noch nicht alle) spielen sich fast alle in der ersten Stunde ab, die mehr oder weniger als Einleitung dient. Hätte man also weglassen können, aber Kasdan war in diesem Fall wirklich darauf aus, ein großes Epos von der Jugend bis ins hohe Alter zu inszenieren. Dass man das dann schon wirklich wasserdicht machen muss, damit’s beim Großteil des Publikums ankommt, ist ja klar. Und wie gesagt nach meinem Empfinden ist ihm das auch definitiv gelungen. Zumal die meisten dieser Szenen später auch nochmal wichtig werden und so alle ihre Berechtigung bekommen ((Spoiler) den Pferdediebstahl etwa braucht Earp, um wieder nüchtern zu werden (und als Ausrede, den Bundesstaat verlassen zu müssen, was in der Realität mal wieder viel banalere Gründe hatte (nämlich den Vorwurf der Veruntreuung von kommunalen Geldern)) und seine Tätigkeit als Ringrichter führt ihn hier schließlich zu Doc Holliday (Dennis Quaid) (Spoilerende)). Aber wasserdicht ist das Ganze sicherlich nicht, was bei vielen zu Punktabzügen führt, bei mir immerhin dazu, dass es für die allererste Liga schlussendlich nicht reicht.
Das ist aber Meckern auf hohem Niveau, da „Wyatt Earp“ neben tollen Kostümen, Drehorten und Bauten auch noch dieses gewisse Maß an historischer Authentizität aufweist, das man von einem Genrebeitrag aus den 1990ern einfach erwartet. Zwar zeigte eine Serie wie „Deadwood“ bestimmt noch anschaulicher und realistischer, wie es in einer so aufstrebenden wie verkommenen Stadt wie „Dodge City“ oder „Tombstone“ aussah und zuging, aber dazwischen liegen ja auch noch einmal ganze zehn Jahre, in denen die amerikanische Filmindustrie sich weiterentwickelte (und außerdem ist diese leider ziemlich langweilig, aber das ist ja nur meine Meinung). Und sicherlich ist auch die Schilderung von Earps Lebensweg nicht immer hundertprozentig historisch korrekt, aber irgendwo müssen in Biopics ja immer Abstriche gemacht werden und wollte – das gehört auch zur Wahrheit dazu – Kasdan diesen offensichtlich auch nicht als komplett kalten Geschäftsmann darstellen (der er vielleicht gewesen ist). Trotzdem wüsste ich gerade nicht, wo der berühmte Revolverheld und Gesetzeshüter differenzierter dargestellt worden wäre. Schließlich darf er hier auch genug schlechte Eigenschaften an den Tag legen. Es bzw. er könnte durchaus auch so gewesen sein. Dieses ihm offensichtlich wichtige Anliegen unterstreicht Kasdan mit seiner letzten Szene – ein Schachzug, den man so auch erstmal bringen muss.
Schade nur, dass sich diese non-stereotype Darstellung hier auf die Earps und deren Verbündete beschränkt. Die Clantons und Konsorten werden leider als die gleichen durchtrieben-hinterlistigen Mörder hingestellt wie immer. Ob das wirklich komplett der Realität entspricht, darf zu Recht angezweifelt werden (Ike Clanton (Jeff Fahey) z. B. hatte in Tombstone wohl eher ein höheres Ansehen in der Bevölkerung als Wyatt Earp – dies kommt hier überhaupt nicht durch).
Keine Zweifel gibt es allerdings ob der schauspielerischen Leistungen hier, die durch die Bank großartig sind. Angeführt von einem überragenden Kevin Costner, der sich hiermit zu meinem Lieblings-Wyatt-Earp aufgeschwungen haben dürfte, überzeugen u. a. Michael Madsen als dessen Bruder Virgil Earp (bei dem leider nicht rauskommt, dass er in echt für lange Zeit der Marshal und Wyatt nur sein Deputy war), Dennis Quaid als Doc Holliday (hätte ich so gar nicht erkannt), Linden Ashby als Morgan Earp (ich geb’s zu, ich kannte den Mann vorher nicht), Tom Sizemore als Bat Masterson sowie Bill Pullman als dessen Bruder Ed. Auf der weiblichen Seite, die hier inhaltlich definitiv nicht zu kurz kommt, überzeugen Joanna Going und Alison Elliott definitiv nicht nur optisch. Ihnen zur Seite steht etwa Catherine O’Hara, die man doch nicht nur auf „Kevin“ reduzieren darf. Völlig überflüssig dagegen – und optisch natürlich sowieso kein Hingucker – ist Isabella Rossellini – deren Szenen man zu allem Überfluss auch komplett hätte streichen können. Jeff Fahey spielt leider auch vergeblich dagegen an, dass sein Part verdammt einseitig verkürzt wurde. Aber dafür zweifelt wohl niemand daran, dass ein Gene Hackman zu diesem Zeitpunkt seines Lebens genau der Richtige für den Part von Wyatts Vater Nicholas Earp war.
Und so kann ich auch für Lawrence Kasdans zweite Pferdeoper nur eine dicke Empfehlung aussprechen. Natürlich dürft ihr nach einem Meisterwerk wie „Silverado“ nicht erwarten, dass er dieses hätte wiederholen können, aber bei der Laufzeit hätte ich wie gesagt mehr Hänger erwartet. Stattdessen punktet „Wyatt Earp“ mit einer packend umgesetzten Geschichtsstunde, die in großen Teilen authentisch wirkt, perfekter Handwerklichkeit sowie einem großartigen Staraufgebot, das abzuliefern versteht. Kann sein, dass er euch ein bisschen zu lang vorkommen wird, aber da gibt’s ganz andere Vertreter. Leute, die das hier wirklich stört, heben wahrscheinlich auch „Heaven’s Gate“ in den Himmel. Oder anders ausgedrückt: Hätten all die Filmbiografien von Musikern, die in den letzten Jahren entstanden sind und immer noch entstehen, die Qualität eines „Wyatt Earp“, würde ich mir jede einzelne davon mit Freuden ansehen (aber es kann eben nicht jeder Streifen ein zweiter „Walk The Line“ sein). Von solchen Biopics würde ich gerne mehr sehen!
Zitate
„Übernimmst du eine Aufgabe, musst du sie durchführen. Ein Mann, auf den man sich nicht hundertprozentig verlassen kann, ist den Ärger nicht wert, ihn bei sich zu haben.“(Nicholas Earp (Gene Hackman) nordet seinen Sohn Wyatt ein)
„Je mehr die Familie zusammenhält, desto besser. Sind die einzigen, auf die du dich verlassen kannst. Vergesst das nie, alle, die ihr hier seid: Nichts ist stärker als die Bande des Blutes. Der Rest sind doch Fremde.“(Nicholas Earp versucht sein nachlassendes Gedächtnis zu rechtfertigen)
„Dieses Land ist voll von Menschen, die einander schlimme Dinge antun.“(Nicholas Earp kennt seine Landsleute)
„Du weißt, ich bin ein Mann, der an das Gesetz glaubt. Nach der Familie ist das das einzige, woran du glauben musst.“(Nicholas Earp vergisst im Zwiegespräch mit Sohn Wyatt wohl seinen sonst so gepriesenen Herrgott)
„Es gibt keine Entschuldigung für Trunkenheit. Oder für das Selbstmitleid, dass diese so oft begleitet.“(ein Stadtbewohner hat seinen betrunkenen Mitmenschen genau zugehört)
„Einen Bruder? Das ist alles, was ihr Jungs habt? Einen mickrigen Bruder? […] Hmm… Besser als nichts, denke ich.“(Wyatt Earp sieht in Anbetracht seiner riesigen Familie großzügig über die Fehler von Ed (Bill Pullmann) und Bat Masterson (Tom Sizemore) hinweg)
„Du weißt, dass ich mich nicht gerne auf Frauen verlasse.“(Wyatt Earp nimmt es seiner ersten Frau Urilla (Annabeth Gish) weiterhin übel, dass sie ihm so früh verstorben ist)
„Nicht schießen! Wenn Sie mich verfehlen, ist Ihre Reputation dahin…“(Earps erster Marshal-Vorgesetzter steht gegenüber diesem zu seinen Pfunden)
„Es gibt eine Menge Leute hier, die Wyatt mögen. Also da bin ich, da ist Virgil… Da bin ich…“(James Earp (David Andrews) kann sich auch mit wenig zufrieden geben)
„Das ist ein raues Land, Ed. Es duldet keine Narren.“(Wyatt Earp hat’s gegenüber Ed Masterson nicht so sehr mit der Subtilität)
„Dave Rudsbough [Name (hoffentlich) ähnlich] ist ein hohlköpfiger Schurke, dessen bloße Existenz ich bereits missbillige. Ich habe bei einigen Gelegenheiten erwogen, sie selbst zu beenden, aber die Selbstbeherrschung hat die Oberhand über mich gewonnen.“(Doc Holliday ist mit sich im Reinen)
„Meistens, wenn Kate und ich verschiedener Ansicht sind, gehen wir aufeinander los, um uns zu töten.“(Doc Holliday weiht Wyatt Earp in das Geheimnis seiner Beziehung ein)
„Wyatt, das Essen steht auf dem Tisch!“ – „Gut, Mattie. So wissen wir, wo wir es finden, wenn wir hier fertig sind.“(Wyatt Earp ist seiner zweiten Frau Mattie (Mare Winningham) für jeden Hinweis dankbar)
[Wyatt breitet seiner Familie seine Pläne für den Umzug nach Tombstone aus, was den Frauen seiner Brüder nur bedingt gefällt] „Wieso müssen es immer die Brüder sein? Die Brüder, zusammen… Warum können es nicht einfach du und ich sein, James? […] Wir sind eure Frauen. Zählen wir nie mehr als die verdammten Brüder?“ – „Nein Bessie, keinesfalls. Frauen kommen und gehen; das ist die simple Wahrheit. Sie laufen weg… Sie sterben…“(Wyatt Earp hat mit seiner einen, leider viel zu früh verstorbenen Frau Urilla so viel erlebt, dass er locker abstrahieren kann)
„Die Menschen erfinden immer alles Mögliche. Manchmal weiß ich gar nicht, was wirklich passiert ist. Ich weiß nur das eine: Die Geschichten sind immer besser.“(Wyatt Earp weiß schon, wie die Verfilmungen seiner Lebensgeschichte aussehen werden)
„Ist Mattie Earp Ihre Frau?“ – „Wir sind eine Weile zusammen. Sie benutzt meinen Namen. Das Wenigste, was ich ihr schulde.“(Wyatt Earp ist gegenüber seiner neuen Liebe Josie Marcus (Joanna Going) der Meinung, dass man den Stand der Ehe nicht überbewerten sollte)
[Nachdem Ike Clanton und Co. mal wieder Unruhe gestiftet haben, äußert Morgan Earp einen Vorschlag, wie mit den Querulanten seiner Meinung nach umzugehen wäre.] „Ich denke, wir sollten sie einfach alle umbringen.“ – „Weißt du, Morgan, Wyatt ist mein Freund. Aber, ich glaube, dich beginne ich zu lieben.“(Doc Holliday entdeckt angesichts von Morgans Aussage seine homoerotischen Seiten)
[Nachdem Wyatt aus seiner Liebe zu Josie keinen Hehl macht, beginnt Mattie so viel Laudanum zu trinken, dass sie fast daran stirbt.] „Wenn ich mit ihm verheiratet wäre, würde ich eine Gallone von dem Zeug trinken.“(Matties Schwägerin Allie Earp (Catherine O’Hara) hält auch nichts vom Schönsaufen)
„Geh jetzt bitte nach Haus! Wenn ich Angst habe um dich, könnte man mich töten.“(da Wyatt Earp sich seiner Schwächen bewusst ist und Josie Marcus nach Hause schickt, bleibt ihm ein Schicksal à la Achilles erspart)
„Rede mit mir, du kaltschnäuziger Mensch!“ – „Draußen sind ein paar Leute, die ich töten muss, Mattie. Heute habe ich für so etwas keine Zeit.“(Wyatt Earp versteht es, jedem Streit mit Mattie aus dem Weg zu gehen)
„Was willst du tun?“ – „Sie alle umbringen.“(Wyatt Earp erörtert Doc Holliday seinen komplexen Racheplan)
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