The Sisters Brothers

The Sisters Brothers

★★★ +++

  • Jahr: 2018
  • Regie: Jacques Audiard
  • Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rutger Hauer...

Story

Die beiden ungleichen Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie Sisters (Joaquin Phoenix) reiten für ihren Auftraggeber, den Commodore (Rutger Hauer), auf der Suche nach dem Chemiker Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) und dem ebenfalls vormals auf diesen angesetzten John Morris (Jake Gyllenhaal) quer durch die Bundesstaaten. Als sie die beiden endlich finden, erwartet sie eine Überraschung…

Worte zum Film

ungewöhnlich und unvorhersehbar, leider auch ein wenig unnahbar; tolle Schauspieler, unkonventionelle, aber versierte Regie, tolle Bilder; der (erwartbar) etwas andere Western

Bewertung

Ein Western von Jacques Audiard? Mit John C. Reilly, Joaquin Phoenix und Jake Gyllenhaal in tragenden Rollen? Da wäre es untertrieben zu sagen, dass dieser nur mein Interesse wecken würde. Zwar habe ich von Audiard bisher nur „De Rouille Et D’Os“ gesehen, aber der hat mich damals im Kino so dermaßen begeistert wie kaum ein zweiter „Erstling“ irgendeines anderen Regisseurs zuvor. Für die große Leinwand hat es bei „The Sisters Brothers“ seinerzeit leider mal wieder nicht gereicht (oder war ich mal wieder zu faul, stundenlange Fahrzeiten für den Streifen auf mich zu nehmen; sucht euch was aus), aber als ich ihn neulich zufällig im Programm des (übrigens großartigen!) Streamingdienstes filmfriend entdeckt habe, musste ich nicht lange überlegen.

Dass man von einem Mann wie Jacques Audiard, den man wohl guten Gewissens als Arthouse-Regisseur bezeichnen kann, nun aber keine klassische Genreware erwarten kann bzw. darf, sollte jedem Konsumenten vorher bewusst sein. Zwar liefert auch er selbstverständlich die obligatorischen Actionszenen ab, aber die funktionieren hier etwas anders als man es aus anderen Produktionen gewohnt ist. So braucht ihr euch auf große Prügeleien gar nicht erst einzustellen. Im Zweifel müsst ihr euch hier mit einer Ohrfeige zufrieden geben. Schießereien sind eher kurz und verwirrend, als dass sie lang und breit zelebriert würden. Mal sind sie aus weiter Ferne gefilmt und mal geschehen sie gar im Off. Interessanterweise sind sie dadurch allerdings nicht minder ästhetisch (wenn man das als Pazifist überhaupt so sagen darf…).

Auch für ihre großartigen Drehorte scheinen sich Audiard und sein Kameramann Benoît Debie höchstens am Rande zu interessieren. Ganz bewusst verzichten sie offenbar auf die ganz großen Panoramen und Totalen – und liefern trotzdem tolle Bilder ab.

Ganz offensichtlich soll es in „The Sisters Brothers“ etwas intimer zugehen. Denn was ob des aus meiner Sicht ziemlich dämlichen Wortspiel-Titels sehr nach einer Genreparodie klingt, ist in Wahrheit ein feinfühliges Drama mit lediglich kurzen absurd-abstrusen Ausblühungen. Im Kern ist Audiards Film ein Roadmovie, das vier Männer auf der Suche nach Glück und dem Sinn des Lebens porträtiert. Dabei sucht jeder auf seine Weise und findet jeder eigene Antworten auf seine Fragen. Das ist mal komisch, mal tragisch, mal regelrecht seltsam und mal banal, aber eines ist es dabei zu keiner Zeit: vorhersehbar. In diesem Werk kann man sich nie sicher sein, was als nächstes passiert, da das Drehbuch von Thomas Bidegain, das dieser zusammen mit dem Regisseur nach dem Roman von Patrick DeWitt schrieb, mit Genuss die Erwartungen der Zuschauer an den weiteren Handlungsverlauf unterläuft. Zwar wird so selbstverständlich auch storytechnisch kein klassischer Vertreter aus „The Sisters Brothers“, aber selbst ich als erklärter Fan der Verlässlichkeit auf Genreregeln (und insbesondere die des Western) hatte damit überhaupt keine Probleme. Wenn das alles so menschlich geschieht wie hier, was soll man da dagegen haben?

Ein Problem hat Audiards einziger Genrebeitrag (Stand: Oktober 2022) dennoch: Gerade zu Beginn und am Ende schwelgt er doch ein wenig zu sehr in sich selbst, geht er das Ganze dann doch etwas zu langsam an. Man hat noch keine richtige Ahnung, wo das Ganze eigentlich hinführen soll und selbst wenn man so weit ist: So super spannend ist eine Sinnsuche alleine ja nicht… Und da der Plot (Spoiler) um die seltsame Erfindung des von Riz Ahmed gespielten Chemikers Hermann Kermit Warm (was für ein Name…) (Spoilerende) jetzt auch als maximal nett bezeichnet werden kann, hat man teilweise Probleme hier wirklich bei der Stange zu bleiben.

Und das trotz der geradezu famosen Besetzung. Joaquin Phoenix ist schon seit mindestens zwei Jahrzehnten einer der talentiertesten und spannendsten Schauspieler dieses Planeten, der sich in jede Rolle reinkniet und somit auch Charlie Sisters glaubhaft zum Leben erweckt. Bei John C. Reilly merke ich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, wie viele interessante Filme es mit ihm an Bord eigentlich noch zu entdecken gibt. Er dürfte wohl so ziemlich die Idealbesetzung des verträumten Eli Sisters sein und hat sich diese ja schließlich auch selbst ausgesucht (immerhin erwarb er die Filmrechte am Roman). Und als dann für mich ganz unerwartet (weil ich über den Streifen vorher eben nicht mehr recherchiert, sondern einfach drauf losgeguckt habe) auch Jake Gyllenhaal auf der Bildfläche erschien, war ich vollends verzückt. Für ihn gilt eindeutig das gleiche wie für Phoenix und auch bei ihm wüsste ich nicht, wann ich von ihm jemals enttäuscht gewesen wäre. Er und Riz Ahmed haben ob ihrer eigentlich viel zu kleinen Parts hier zwar nicht die Möglichkeit groß zu brillieren, aber es macht einfach Spaß ihnen beim (Zusammen-)Spiel zuzusehen. Ob man einen Cameo von Rutger Hauer gebraucht hätte, sei mal dahingestellt, nett ist er jedoch allemal.

Die endgültige Einordnung von „The Sisters Brothers“ fällt mir ob des oben genannten, nun auch nicht gerade winzigen Problems allerdings nicht gerade leicht. Die großartige Handwerklichkeit sowie die Menschlichkeit des Scripts hin oder her, so richtig mitnehmen will einen Jacques Audiards eigenwilliges Werk nicht. Das ist ob der genannten Vorzüge super schade und ich hadere gerade extrem mit mir. Allerdings sollte der Mut solch ein definitiv anderes Genrevergnügen auf die Beine gestellt zu haben doch belohnt werden und entscheide ich daher „im Zweifel für den Angeklagten“. Natürlich, denn ein Vergnügen bleibt die Sichtung des unvorhersehbaren „The Sisters Brothers“ so oder so. Ob man beim zweiten Mal, wenn einem die Wendungen bereits bekannt sind, immer noch so überzeugt sein wird, wird sich zeigen, aber ich bin mir sicher, dass dieser Streifen sein Publikum finden wird. Daher noch ganz knapp drei Sterne und ebenso viele Plus.

Übrigens: Ich bin aus den ganzen Produktionsländern jetzt nicht ganz schlau geworden, welchem von ihnen ich die Entstehung von „The Sisters Brothers“ jetzt vor allem auf die Fahne schreiben soll. Daher habe ich mich ob der gefühlt (!) größeren europäischen Anteile dazu entschlossen, ihn als Euro-Western zu führen. Konstruktive Kritik an dieser Einordnung wird gerne zur Kenntnis genommen. ;)

★★★ +++

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