Winnetou – Eine neue Welt

Winnetou - Eine neue Welt

★★★ +++

  • Jahr: 2016
  • Regie: Philipp Stölzl
  • Darsteller: Nik Xhelilaj, Wotan Wilke Möhring, Jürgen Vogel, Iazua Larios, Milan Peschel, Gojko Mitić, Rainer Bock, Oliver Masucci...

Story

Als Eisenbahningenieur Karl May (Wotan Wilke Möhring) von den Apachen erst angeschossen und dann wieder gesund gepflegt wird, lernt er ihre Kultur kennen und schätzen. Sie wiederum nennen ihn anerkennend Old Shatterhand. Fortan setzt dieser alles daran, seinen neuen Freunden unter der Führung von Intschu Tschuna (Gojko Mitić) bzw. dessen Sohn Winnetou (Nik Xhelilaj) dabei zu helfen, dass die Eisenbahn nicht quer durch ihr Stammesgebiet gebaut wird…

Worte zum Film

durchwachsene bis ordentliche Darsteller, großartige Landschaften, gute Optik; neue, wesentlich realistischere Herangehensweise; Story neu und doch altbekannt; ebenfalls kaum eine Buchadaption zu nennen

Bewertung

Na das nenne ich mal ne faustdicke Überraschung! Dass „Winnetou – Eine neue Welt“ drei Sterne und drei Plus einfährt, hätte ich vorher nie für möglich gehalten. Denn wenn wir alle mal ganz ehrlich zu uns sind: Wer hätte denn gedacht, dass eine Neuverfilmung der für manche Leute (wie mich) fast schon heiligen „Winnetou“-Streifen der Rialto mit Wotan Wilke Möhring als Old Shatterhand (!) auch nur im Ansatz gefallen kann? Daher habe ich damals, zu Weihnachten 2016, auch aus Protest nicht eingeschaltet, als die drei Filme bei Mitproduzent RTL ihre Premiere feierten. Aus heutiger Sicht ärgere ich mich ein bisschen darüber. Aber nur ein bisschen, schließlich zählt meine Stimme für die Quote – ob nun so rum oder so rum – sowieso nicht und so habe ich mir immerhin die Werbung erspart. Allerdings weigerte ich mich im Anschluss auch, dieses Produkt käuflich zu erwerben. Sollten die anderen beiden neuen Episoden ebenso einschlagen, ändere ich diese Einstellung auf jeden Fall, bis dahin nutze ich aktuell aber sehr gerne die Möglichkeit, diesen Dreiteiler in der Mediathek von Filmtastic nachzuholen. War also ne gute Idee, mir zuletzt ein wenig Bezahlfernsehen zu gönnen, denn sonst hätte ich meine Vorurteile ja nie begraben können.

Aber immerhin mit einer Vermutung lag ich völlig richtig: Mir war klar, dass dieses auf dem Papier ziemlich aussichtslose Unterfangen nur dann ein Erfolg werden könnte, wenn man die Herangehensweise an die mayschen Werke komplett ändern würde. Keine Abenteuerromantik mehr. Heutzutage funktioniert höchstens noch ein radikal realistischer Ansatz. Und genau den wählten Regisseur Philipp Stölzl und sein Drehbuchautor Jan Berger auch. Da sieht dann die Western-Stadt wirklich so aus, als wäre sie gestern erst zu bauen angefangen worden. Doch damit nicht genug: Entsprechend des zeitlichen Fortgangs innerhalb der Geschichte, wächst diese weiter bzw. wird ansehnlicher. Das ist schon ziemlich cool. Hier darf Old Shatterhand, der tatsächlich unter dem Namen Karl May in Amerika ankommt, dann auch endlich mal was vermessen (in „Winnetou I“ wird dies zwar erwähnt, aber man kann sich Lex Barker kaum mit dem Vermessungsstab in der Hand vorstellen) – und sich sogar besaufen, wenn’s ihm schlecht geht… Außerdem sprechen die amerikanischen Ureinwohner natürlich Indianisch mit Untertiteln und werden auch darüber hinaus exakt so dargestellt wie in „Der mit dem Wolf tanzt“ und Konsorten. Letzteres bedeutet allerdings auch, dass diese wie klassische Prärieindianer leben. Dies mutet auf den ersten Blick vielleicht seltsam an, aber tatsächlich gab es ja Plains-Apache, die in Tipis lebten und Büffel jagten. Außerdem entspricht dies der Darstellungsweise Karl Mays in seinen Büchern, wenn ich mich nicht irre.

Trotz dieser Gemeinsamkeit: Dieser Realismus führt natürlich dazu, dass man weder eine Story wie in den 1960ern noch eine den tatsächlichen Inhalt eines Romans von May wiedergebende auf die Fernsehbildschirme bringen konnte. Und so „begradigte“ man auch den Plot dieses Werks, sodass dieser sich ab einem gewissen Punkt völlig eigenständig entwickelt. Folglich hat diese Neuauflage mit einem echten „Winnetou“-Buch (in diesem Fall stand natürlich „Winnetou I“ Pate) mindestens genauso wenig gemein wie die Streifen von Horst Wendlandt damals – wenn nicht – bezogen auf den Film „Winnetou I“, der ja mit Abstand der vorlagengetreueste Rialto-Western ist – sogar noch weniger… So wenig jedenfalls, dass der Karl-May-Verlag seine Mitarbeit an diesem Projekt sowie die Nutzung der Originaltitel Mays verweigerte. Aber dieser ist ja sowieso nicht gerade für seinen Fortschritt bekannt… Mir jedenfalls gefällt diese Herangehensweise sehr.

Einen Originalitätspreis gewinnt Jan Berger mit seinem Script hingegen nicht. (Spoiler) Die Erschießung des Häuptlings Intschu Tschuna (Gojko Mitić) bei der Vertragsunterzeichnung auf „weißem“ Terrain, die Erschießung einer in die Stadt reitenden Angreiferhorde mittels einer Gatling Gun, die Sprengung der Brücke am Ende… (Spoilerende) All das sind altbekannte Elemente eines Westerns und seine Dialoge sind manchmal so offensichtlich recycelt, dass man sich fast schon stellvertretend schämt. Dazu kommt eine Sequenz, in der Karl May seinen Spitznamen Old Shatterhand erst von den Indianern erhält (ist denen ihre eigene Sprache ausgegangen oder was?) und sich dann auch noch als Atheist outet. Und so begrüßenswert ich Letzteres für den Alltagsumgang auch fände, hier wirkt es nicht nur aufgrund der Tatsache, wie May seine Helden ihre Bibeltreue in seinen Büchern immer wieder aufs Neue repetieren lässt, höchst fragwürdig. War damals einfach nicht wirklich die Zeit für Atheisten (und ist es in Amerika gefühlt immer noch nicht).

Jedoch sei zu seiner Ehrenrettung angefügt, dass das hier auch nicht Bergers Verdienst ist. Sein Verdienst ist oben genannte Wandlung hin zum Realismus, die – und jetzt kommt es – trotzdem nicht dazu führt, dass wir hier einem langweiligen Belehrungsfilm beiwohnen müssen. (Spoiler) Nein, die Gatling-Szene nutzt Regisseur Stölzl etwa komplett teutonen-western-untypisch für einen heftigen Schlag in die Magengrube und die Einlage mit der Brücke ist einfach super spannend geraten. (Spoilerende)

Überhaupt hat Stölzl, der mich mit der von mir heißerwarteten Serie „Der Schwarm“ zuletzt schwer enttäuscht hat (und auch „Schachnovelle“ halte ich für überbewertet), einen großen Anteil am Gelingen dieses Werks. Das sieht einfach schon eher nach Kino- denn nach TV-Film aus. Auch die herrlichen Landschaften tragen ihren Teil zur guten Optik bei. Es war eine sehr gute Entscheidung, wieder in Kroatien zu drehen und eine Menge der alten Drehorte wiederzuverwenden. Ebenso wie Heiko Maile es wunderbar verstanden hat, in seine zu diesen deutlich düstereren Bildern passende Musik immer wieder Elemente von Böttchers alten Melodien einzubauen, die wir alle so lieben. So zeigt man seine Achtung vor den alten Verfilmungen.

Erstaunlicherweise ist nun aber gerade der Cast nicht die große Stärke von „Winnetou – Eine neue Welt“. Und damit ist explizit nicht Wotan Wilke Möhring gemeint. Der macht seine Sache nämlich entgegen aller Erwartungen ganz ordentlich. Das liegt aber schlicht daran, dass man erwartete, er müsse hier gegen Lex Barker anspielen. Muss er bei der veränderten Rollenanlage ja aber gar nicht. Und dieser feinfühlige Old Shatterhand, dem man dann auch den Gelehrten abnimmt, der steht ihm dann doch ganz gut zu Gesicht. Viel besser als irgendwelche Komödien-Auftritte. Denn komisch kann Möhring meiner Meinung nach nicht (große, große Ausnahme: sein Auftritt in „Das perfekte Geheimnis“, aber das war ja auch für Bora Dagtekin und von dem und seinen Filmen kann man halten, was man will (ich bin jetzt nicht der größte Fan), aber seine Schauspieler hat der einfach im Griff). So jedoch: Ein ordentlicher Auftritt. Was seine Leistung jedoch wieder ein wenig schmälert, ist dass der zweite Protagonist Nik Xhelilaj ihn mit seiner Präsenz in jeder ihrer gemeinsamen Szenen alt aussehen lässt. Den kannte ich vorher überhaupt nicht (und wer tat das schon?), aber er macht das klasse. Ihn mit Pierre Brice zu vergleichen, wäre zu diesem Zeitpunkt sicherlich etwas vermessen, aber eine bessere Wahl hätte man für die Neubesetzung dieser wichtigsten Rolle im Film wohl kaum treffen können.

Neben den beiden wird es dann allerdings dünn. Allen voran Antagonist Jürgen Vogel zeigt als Josef Rattler mit unglaublich schlecht angeklebtem Bart mal wieder, warum ich mit ihm so gar nichts anfangen kann. Aufgesetzt von Anfang bis Ende. Nicht eine Sekunde ernst zu nehmen. Ihm zur Seite steht mit Oliver Masucci eigentlich ein großartiger, deutscher Charakterdarsteller – der hier allerdings mal wieder seiner gefühlten Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann und die lautet: In fast unkenntlicher Verkleidung gnadenlos overacten. Und auch Milan Peschel wollen wir den Vergleich mit Ralf Wolter mal lieber ersparen. Er kann es eigentlich so viel besser… Immerhin enttäuscht Rainer Bock nicht (aber wann tut er das schon mal?) und auch Iazua Larios als Nscho-tschi ist eine ordentliche Wahl, aber allzu viel Screentime haben die beiden hier gar nicht. Über jeden Verdacht erhaben ist natürlich auch Gojko Mitić, der diese – ebenfalls sehr kleine – Rolle nach 15 Jahren als Winnetou in Bad Segeberg und später sogar nochmal als Intschu tschuna selbst aber auch einfach im Blut hatte (und den ich vielleicht auch ein bisschen verkläre).

Von daher lässt sich festhalten: Auch wenn die Darsteller nicht alle überzeugen können, als Film kann „Winnetou – Eine neue Welt“ das auf jeden Fall. Ihm gelingt das von mir nicht für möglich gehaltene Kunststück, die (Auftakt-)Geschichte der beiden überlebensgroßen Helden Winnetou und Old Shatterhand erfolgreich ins 21. Jahrhundert zu transferieren und dabei trotzdem ihre Wurzeln nicht zu verleugnen. Entsprechend realistisch und an den richtigen Stellen mit entsprechenden Anspielungen gewürzt ist Stölzls Film geraten. Inhaltlich zwar nicht gerade neu, aber ausreichend spannend und mit einem coolen Ende. Manchmal sollte man sich eben erst das Ergebnis ansehen, bevor man anfängt zu meckern…

Übrigens: Ich behandele die drei Teile des seinerzeitigen „TV-Events“ „Winnetou – Der Mythos lebt“ nicht als eine TV-Mini-Serie (was man sicherlich auch machen könnte), sondern jeweils als eigenständige Filme. Diese dürften, wie „Winnetou – Eine neue Welt“ es vorgemacht hat, ja jeweils eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählen und allein dadurch qualitativ vielleicht auch mal (nach unten hin) schwanken. Und dann wäre es unschön (und aus meiner Sicht sogar ungerecht), einen wirklich schönen Beitrag wie „Winnetou – Eine neue Welt“ deswegen abwerten zu müssen. Sollten die anderen Teile dagegen sogar noch stärker sein (was ich hoffe), müsste man diesen „schwächeren“ Beginn dort dann ebenfalls nicht gegenrechnen.

Zitate

„Besorgen Sie sich einen Hut – sonst hält man Sie hier noch für einen Spinner.“(James Bancroft (Rainer Bock) ist schon ein echter Amerikaner geworden)

„N Eisenbahnarbeiter muss drei Dinge können: singen, saufen, Zeche prellen.“(ein alter Eisenbahner-Hase weiht Greenhorn Karl May gleich mal in sein Berufsgeheimnis ein)

[Josef Rattler (Jürgen Vogel) versucht die Hure Belle (Henny Reents) zum wiederholten Male zur Hochzeit zu überreden] „Ich war schon drei Mal verheiratet, war jedes Mal n Verlustgeschäft.“ – „Das sagst du jetzt doch nur, weil ich noch kein Land habe und keine Kohle in der Tasche.“ – „Schätzchen, dann fehlen dir immer noch Charakter, Manieren und gutes Aussehen.“(Belle gibt Rattler ihren Anforderungskatalog mit)

„Ich will mehr vom Leben haben als nur nen schlechten Ruf.“(Josef Rattler setzt sich ehrgeizige Ziele)

„An welche Götter Old Shatterhand glauben?“ – „Also, ich bin zwar getauft, aber ich glaube eigentlich nur an die menschliche Vernunft.“ – „Götter glauben an Old Shatterhand.“(Nscho-tschi (Iazua Larios) spricht wohl eher von sich selbst)

„Warum sollte ich ein schlechteres Gewissen haben als die Firma, für die ich arbeite?“(James Bancroft macht es sich leicht)

[über die Gatling Gun] „Das nenn ich zur Abwechslung mal ne sinnvolle Erfindung von euch Ingenieuren.“(Josef Rattler kann auch mal Lob verteilen, wenn’s angebracht ist)

„Hast du dich verirrt?“ – „Kann man sich verirren, wenn man nicht weiß, wo man hin will?“ – „Wer nicht weiß, wo er hin will, weiß nicht, wer er ist, wenn ich mich nicht irre.“(Sam Hawkens (Milan Peschel) hat den Grundkurs Philosophie besucht)

„Nicht ist schwieriger, als den richtigen Platz im Leben zu finden.“(Sam Hawkens spricht aus Erfahrung)

★★★ +++

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